Richard Baker Roshi zum Thema „Spirituelle Krisen“

Vor wenigen Wochen, im September 2023, veranstaltete das Meditationszentrum „Benediktushof“ ein Symposium zum Thema „Spirituelle Krisen“. Der ZEN-Meister Richard Baker Roshi vermittelte dort in einfachen und eindrücklichen Worten, wie er dieses Phänomen sieht.

Ab Minute 16:50 wird er hier ganz konkret:
„In der Welt, in der ich lebe, gibt es nichts anderes als das Potenzial für „Spirituelle Notfälle“. Das liegt daran, dass wir, wenn wir Buddhismus praktizieren, uns außerhalb unserer Kultur und nicht mehr in unserem Identitätsstrom bewegen. Dann wird dir der Boden unter den Füßen fast täglich weggezogen. …
Als ich 1961 selbst mit der Praxis begonnen habe, hatte ich das erste Problem mit dem Wort „Praxis“ (=Übung). Man kann Klavier üben und wird offensichtlich besser und besser im Klavierspielen, aber im ZEN wird man nicht besser und besser, wenn man mehr praktiziert. Was ich dann irgendwann erkannt habe, dass im ZEN ab einem bestimmten Zeitpunkt „das Klavier dich übt“. Wie geht es also, dass du der Welt erlaubst, dich zu praktizieren?“

Damit spricht er ein Phänomen an, dass ein Freund von mir einmal mit diesen Worten beschrieben hat „Zuerst gehst Du den Weg, dann geht der Weg mehr und mehr Dich.“ Das möglich werden zu lassen, nennt Baker Roshi den 4. großen „Shift“ auf dem Spirituellen Weg.

Dieser „Verschiebung“ (=shift) gehen drei andere Schritte voraus. Den ersten umschreibt er mit dem japanischen Wort „Ganbatte“, was sowohl „Annehmen“ als auch „Durchhalten“ bedeutet. Es sei eine Lehre des „Unbequemen“, die einem hilft, sowohl Standfestigkeit als auch Durchhaltevermögen zu entwickeln, um die Verschiebungen in der eigenen Weltsicht zu überleben.
Beim zweiten größeren Shift geht es darum die Stille in den Körper zu bringen und zwischen die eigenen Gedanken zu sehen und zu erkennen, dass du selbst ein Konstrukt bist und auch die Gesellschaft ein Konstrukt ist. Das kann eine ausgesprochen befreiende Erfahrung sein.
Die dritte Verschiebung, die einem auch den „Teppich unter den Füßen“ wegziehen kann, ist das Sehen selbst zu sehen. Wenn wir beginnen zu erkennen, dass alles Sehen im gleichen Geist geschieht, entwickeln wir darin auch eine Stabilität. Zen ist eine Praxis des Aufmerksamkeitsfeldes, nicht der Konzepte. … Wir finden uns hier wieder in einem Feld des Geistes und nicht in den Inhalten des Geistes. Der Bezugspunkt hier ist nicht wer du bist, sondern eine Lebendigkeit, ein Feld des Geistes und das, was darin auftaucht. Baker Roshi verwendet hier das Sprachspiel, dass im Englischen das Wort „mind“ und „mined“ (=vermint) gleich ausgesprochen werden. Das Feld des Geistes ist also auch ein „vermintes“ Feld, weil dort ständig etwas explodieren und einem der Teppich unter den Füßen weggezogen werden kann.
Alle diese Verschiebungen sind Möglichkeiten, wie du vermeiden kannst, dass dir immer wieder der Teppich unter den Füßen weggezogen wird und sie helfen auch, solche Situationen zu überleben.

1 Gedanke zu „Richard Baker Roshi zum Thema „Spirituelle Krisen““

  1. Aus der Sicht dieses ZEN-Meisters ist also die „Spirituelle Krise“ so etwas wie der „Normalfall“ in Transformationsprozessen und es gilt hier, sie zu „überleben“ und nicht, die Symptome wegzutherapieren. Vielmehr sollen alle psychischen Veränderungen als „Erscheinungen im Feld des Geistes“ betrachtet werden und nicht aus einem persönlichen Referenzpunkt heraus.
    Ich finde diese Sichtweise gleichzeitig wahr und auch herausfordernd, sowohl für die Erlebenden, die gerade durch solche Minenfelder hindurch gehen, als auch für uns Begleitenden. Wollen wir nicht alle, dass es uns möglichst bald wieder besser geht und die existenzielle Verunsicherung aufhört?
    Die Überschrifts-Frage des Symposiums „gesund oder krank?“, stellt sich hier für mich gar nicht. es ist eine andere Ebene des Umgangs mit solchen Erscheinungen: Das Zusammenbrechen der alten Ich-Konstruktionen, inklusive aller Verunsicherungen, die das auslöst, ist Teil der transpersonalen Reise. „Gesünder“ werden wir dadurch nicht, aber vielleicht immer mehr von den selbst-konstruierten Leidspiralen erlöst, mit denen wir uns im Alltag das Leben schwer machen.

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